Gastartikel vom Fotografen Arne Hoffmann: Eigentlich weiss es jeder: So gut wie alle Bilder, auf Plakaten und in Magazinen, sind bearbeitet worden. Doch trotzdem führen Vorher-Nachher Bilder immer wieder zu Erstaunen.Was ist möglich, was gängige Praxis, warum wird es gemacht und welche Konsequenzen hat die Bildbearbeitung?
Da hat sich Neele ja mal wieder ein Thema für mich ausgesucht, das etwas komplexer ist. Ich versuche mal in aller Kürze ein paar hoffentlich interessante Aspekte anzusprechen. Fangen wir mal vorne an: Bildbearbeitung gab es auch schon vor Photoshop und dem digitalen Zeitalter. Im Analogen war zwar alles viel begrenzter, aber Hautglättung, Farbveränderungen, Collagen etc. waren früher auch schon möglich. Heute ist es nicht nur möglich sondern gehört zum normalen Workflow dazu. Wenn es nicht gerade zum künstlerischen Aspekt des Fotografen dazugehört die Bilder so zu belassen, wie sie fotografiert wurden, durchläuft heute eigentlich jedes Foto Photoshop und wird an bestimmten Stellen optimiert oder auch extrem verändert.
Ich denke der stärkste Treiber der – gesellschaftlich betrachtet – nicht ungefährlichen Bildbearbeitung ist die Werbung. Die Werbewelt gaukelt uns immer perfekte, tolle Situationen oder Menschen vor und schraubt sich und uns dabei immer höher in den Ansprüchen. Es gibt oder gab (ich denke, er nimmt gerade wieder ab) zwar einen Trend zur Natürlichkeit in der Bildsprache, aber selbst dort werden Bilder bearbeitet gerade um diese vermeidliche „Natürlichkeit“ zu unterstreichen.
Wie viel Bildbearbeitung macht Sinn und was wird immer gemacht? Standard sind neben Kontrast und Farbanpassungen (Look) die Hautbearbeitung – meistens die Glättung und das Entfernen von Hautunreinheiten – sowohl farblich als auch in der Struktur der Haut, die Bearbeitung der Haare und das Shaping der Models („dünner machen“ von Gliedmaßen oder Nasen, Lippen aufblasen etc). Hintergründe werden ausgetauscht, Kleidungsstücke evtl. noch einmal umgefärbt, wenn es den Art Directoren der Agenturen oder den Kunden dann doch nicht gefällt. Übers Gesicht fliegende Haare werden entfernt und alles andere, was das Bild nicht nahezu perfekt erscheinen lässt oder von der Werbebotschaft ablenken könnte, wird eliminiert. Den meisten Kunden und vielen Werbeagenturen ist dabei leider nicht immer bewusst, dass diese Perfektion oftmals das Gesamtbild zerstört und die Emotionen, die sie aufbauen wollen, gerade durch einige der kleinen „unperfekten“ Dinge entstehen, die sie in stundenlanger Arbeit in Photoshop entfernen.
Sehe ich mir z.B. Werbung für Haarprodukte an, in denen die Haare in perfekten Wellen parallel zueinander liegen, habe ich immer das Gefühl, dass dort eine Plastikbahn liegt. Betonfrisur hat man das früher genannt… heute scheinen das die Kunden aber wieder toll zu finden. Das ist einfach nicht natürlich, sondern nur überperfekt und damit für mich persönlich auch nicht mehr ästhetisch – ich möchte solche Haarwerbungen nicht sehen. Jeder der mal 2 Minuten drüber nachdenkt wird merken, dass Haare, die auch noch in der Bewegung fotografiert werden, sicher nicht so perfekt fliegen werden, dass keine Strähne quer liegt und keine einzelnen Härchen abstehen.
Ich selbst denke, dass die Bildbearbeitung in der Werbung nie zu stark sein sollte und nur als leichte Optimierung des Bildes bzw. der Werbebotschaft dienen sollte. Die Werbung hat auch eine gesellschaftliche Verantwortung – nichts ist so präsent wie Werbeplakate oder Fernsehwerbung. Wir kommen ja kaum noch ohne diese Bilder durch den Tag. Freunde sehen wir meist seltener als Werbebilder. Von der Natur her nimmt der Mensch das für bare Münze, was er sieht. Wenn man ein Geräusch hinter der Ecke hört, geht man hin und guckt nach was es ist – auch wenn man es vom Geräusch her eigentlich schon erkannt hat. Die Bilder der Werbungen fliegen an uns vorbei – auch wenn wir wissen, dass sie bearbeitet sind und die Models dort Ausnahmefiguren haben oder diese dann auch noch mal optimiert sind, nehmen wir das nicht bewusst auf, da wir das, was wir sehen unterbewusst immer als Wahrheit hinnehmen. Soviel zum gesellschaftskritischen Exkurs.
Natürlich gibt es auch die guten Seiten der Bildbearbeitung – gerade für die Werbebranche. Ist ein Model an einem Tag krank und selbst das Make-Up hilft nicht mehr, so kann man im Nachhinein bei der Bildbearbeitung Falten oder Augenringe, die durch die Krankheit verstärkt wurden wieder ausbügeln und damit ein gutes Ergebnis erzielen. Man kann Klamotten noch mal umfärben ohne sie extra neu shooten zu müssen, kann ein Bild „retten“, das vom Ausdruck des Models her toll ist, aber z.B. ein Kleidungsstück unglücklich fällt, indem man es glättet oder austauscht.
In der Fashion und Beautyfotografie (gerade bei Editorials) sehe ich das Thema Bildbearbeitung allerdings nicht so kritisch wie in der Werbung. Ich gehe bei den meisten Leuten, die Mode/Beautyzeitschriften kaufen, davon aus, dass sie wissen, dass dort etwas dran verändert wurde bzw., dass sie sogar das ganze eher als eine Kunstform wahrnehmen und nicht als reine Werbung oder das „wahre Leben“ wie es uns die Werbung oft weismachen möchte. Editorials oder Modefotografie allgemein haben oftmals ja schon eine bestimmte Location/Situation, die einfach nicht alltäglich ist und meist auch noch einen Look, der die Bilder nicht so aussehen lässt als wäre
es gestern hier um die Ecke aufgenommen worden. Natürlich ist das auch nicht jedem bewusst, nur finde ich hier die Bildbearbeitung – gerade was Optimierung von Figur etc. geht weniger schlimm, als wenn die Bilder – wie oftmals in der Werbung üblich – alltägliche Situationen zeigen.
Bei Beauty und Mode geht es für mich viel mehr um Ästhetik als in der Werbung. Ich höre an dieser Stelle schon den Aufschrei etlicher Werber, die wahrscheinlich anderer Meinung sind, jedoch ist das höchste Gut in der Mode(fotografie) die Ästhetik. Vorsicht These: In der Werbung – und da mögen sich bitte alle Werber mal an die eigene Nase fassen, ist das höchste Gut das Geld oder wenn sie leidenschaftliche Werber sind, ist es die Idee, die aber bei weitem nicht immer ästhetisch sein muss, um zu funktionieren oder sogar der Ruhm der Werbepreise.
Bleiben wir also bei der Ästhetik. Ich bearbeite und optimiere auch gerne, gar keine Frage. Beine mal etwas länger, das Model mal ein bisschen geshaped, der Hintergrund kontrastreicher – weils einfach besser aussieht. Ich versuche aber trotzdem nie „perfekte“ Bilder durch die Bildbearbeitung zu schaffen. Perfekt ist in meinem Verständnis nicht gleich ästhetisch. Zu glatt ist langweilig, ist künstlich, ist aufgesetzt. Klar, bei manchen Bildern muss es sein und funktioniert nur dadurch, aber im allgemeinen ist es meiner Meinung nach zu viel des Guten. Dann lieber mit der Kombination aus Motiv / Bildidee, Model, Visa/Styling, Look und Umsetzung des ganzen Punkten. Vorsicht, noch eine These: Wenn das alles stimmig ist, braucht keiner ein übershapedtes Model, eine überperfekt bearbeitete Haut – wie aus der allseits bekannten Beautybibel, da es dann zu perfekt wird, zu kalt.
Es muss immer 1-2 Punkte geben, die nicht 100%ig sind, um die Sympathie nicht zu verlieren. Hat man die Haut perfekt bearbeitet, darf die „Idee“ hinter dem Bild gerne etwas schwächer sein, da es dann wirklich nur um den Beautyeffekt geht. Der Grat zwischen Perfektion und Ästhetik ist recht schmal und daher nicht immer leicht zu treffen. Es gibt natürlich auch Bilder, die aus der Kamera kommen und schon super ästhetisch und vielleicht auch schon ziemlich perfekt sind. Aber durch Photoshop werden sie trotzdem gezogen und nochmals optimiert. Weil pure Ästhetik und vor allem Perfektion in der heutigen Zeit meist durch die Bearbeitung erreicht werden, sollte jedem bewusst sein, dass beide Punkte von der Realität so ziemlich gleich weit entfernt sind.
An dieser Stelle möchte ich dann noch mal auf diesen sicher schon bekannten Spot hinweisen, der das ganze ziemlich gut auf den Punkt bringt.
Vielen lieben Dank an Arne für diesen interessanten Artikel!